pulp.noir matchcuts 1

Digitale Collagen [aus inhaltlich verlinkten Sounds, Words und Visuals]

Zentral für die Umsetzung der meist ambivalenten Themen sind absurd-surreale Assoziationsketten aus gesampelten Sounds, Words und Visuals, die inhaltlich zwar miteinander verknüpft sind, aber aus ganz unterschiedlichen Sinnzusammenhängen stammen. Überraschende und irritierende Motivkombinationen, die für schwarzen Humor und skurrile Stimmungen sorgen, sind das grundlegende Prinzip und werden auf zwei verschiedene Arten inszeniert. Bei der ersten Art treffen im Stereopanorama zwei kontrastierende Motive aufeinander. Zum Beispiel führt auf der linken Seite ein Schachspieler einen Schachzug aus, und auf der rechten Seite fällt statt der Spielfigur ein Soldat. Die beiden Elemente stehen hier räumlich nebeneinander, während sie bei der zweiten Art dann zeitlich nacheinander ablaufen. Mono sozusagen verwandelt sich ein einzelnes Motiv in ein anderes. Dieses Prinzip ist im Filmbereich als Match-cut bekannt und wird oft als "Bindemittel" für den Wechsel zwischen zwei Szenen verwendet. In Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey zum Beispiel wird aus einem Knochen, der von einem Menschenaffen als Werkzeug benutzt wird, plötzlich ein Satellit (der ein modernes Werkzeug des heutigen Menschen darstellt). Anders als bei einem Match-cut im Film handelt es sich bei den pulp.noir matchcuts aber um Endlosschleifen, und die Motive wechseln sich im Kreis herum ab. Zum Beispiel verwandelt sich eine qualmende Zigarette in einen rauchenden Colt, der sich in eine qualmende Zigarette verwandelt usw.

Obwohl die Collagen aus disparaten Einzelteilen zusammengesetzt sind, ist ein homogenes Ganzes das Ziel. Auch sollen aus all den Audio- und Videosamples keine schnell geschnittenen Videoclips entstehen. Angestrebt ist vielmehr ein schwebender Zustand, der sich in konstanter Überblendung befindet und atmosphärisch im Hintergrund bleibt (statt vordergründig auf sich aufmerksam zu machen). Die Tonspur fokussiert dabei manchmal auf Geräusche und manchmal auf Sprach- oder Musiksamples; und auf der visuellen Ebene werden entweder Objekte, Figuren oder Schrift kombiniert. Aber ähnlich wie zum Beispiel in den Collagen von René Magritte liegt der Reiz nicht darin, dass die Motive einander möglichst fremd sind, sondern dass sie eine inhaltliche Verbindung haben. So sind der Schachspieler und der fallende Soldat im obigen Beispiel durch Felder (Spielfeld, Schlachtfeld, Gräberfeld) miteinander verbunden. Das heisst die pulp.noir matchcuts gehen sozusagen wie beim Surfen im Internet von einem Schlüsselbegriff aus und verlinken verwandte Inhalte zu einer digitalen Collage. Dabei wird, anders als bei Magritte, dessen Bildtitel keinerlei erläuternde Bedeutung haben, kein Geheimnis um den Inhalt gemacht: Der "User" hat einen Begriff vor Augen und folgt den Suchergebnissen, – statt um Surrealität geht es hier also eher um digitale Realität. Und so gibt es dann auch ein Menü, bei dem man zwischen mehreren Begriffen auswählen kann; per Klick wird die gewünschte Collage gestartet und läuft so lange als Loop, bis man sich wieder ausloggt.


AUDIO Christoph Binder   VIDEO Julia Maria Morf   SZENARIOS Thomas Fischer

VARIOUS SOUNDS Michael Bucher, recorded by Thomas Winkler
VARIOUS VOICES Kenneth Huber, recorded by Martin Stäheli


Die Gruppe pulp.noir wurde 2004 von Thomas Fischer und Julia Maria Morf gegründet und erkundet seither in zahlreichen audiovisuellen Arbeiten die Absurdität des Lebens, um sie in unterschiedlichem Kontext (Konzert, Kunst, Theater) und unterschiedlicher Form (Videoclips, Installationen, Mediaperformances) dem Publikum zugänglich zu machen.